Story: Erst Stemwede, dann Profikarriere
Die Türen gehen auf. Junge Männer in einheitlichen Trainingsanzügen und lässigen Sneakern verlassen den Bus. Mit dem Kulturbeutel in der Hand, den Kopfhörern auf den Ohren und mit ernstem, emotionslosem Gesichtsausdruck ziehen sie nach und nach in Richtung Kabine. Diese Jungs sind gerade Mal 17, 18 Jahre alt, sie sind zu Gast beim internationalen U19-Turnier in Stemwede und sie haben alle den gleichen Traum: eine Karriere als Fußballprofi. Und nicht nur das Aussteigen aus dem Mannschaftsbus beherrschen sie bereits wie ihre Vorbilder, auch sonst sind zumindest einige von ihnen, während ihres Aufenthaltes in Stemwede, der Profikarriere schon sehr nah. Wie nah Stemwede und Profigeschäft zusammenliegen können, zeigt das Beispiel FC Liverpool.
Kaum ein Verein fasziniert die Fußballfans weltweit so wie der Club von der „Anfield Road“. In Deutschland ist die Begeisterung in den vergangenen Jahren, durch die Personalie Jürgen Klopp, sicherlich noch einmal zusätzlich gestiegen – der Gewinn der Champions-League und die beispiellose Serie der Profis in der englischen Liga tragen selbstverständlich dazu bei. 2015 und 2017 gastierte Liverpool mit seiner U19 beim Turnier in Stemwede. In beiden Jahren liefen für die „Reds“ Spieler auf, die anschließend den Sprung ins Profigeschäft schafften, wie beispielsweise Cameron Brannagan. Der U20-Nationalspieler (2015 in Stemwede zum besten Spieler des Turniers gewählt) wurde ein halbes Jahr nach dem Aufritt und dem Turniersieg in Stemwede von Jürgen Klopp ins Profiteam geholt und unter anderem im FA-Cup eingesetzt. Inzwischen zeigt sich bereits in der Liverpooler Vereinsjugend, wie Jürgen Klopp es geschafft hat, diesem Verein seinen Stempel aufzudrücken. Unter seinem langen Arm wurde in den vergangenen Jahren auch die Nachwuchsabteilung der Reds ordentlich umstrukturiert und vor allem abgespeckt. „Die Definition der Academy ist es, dass hier nur die Elite spielen sollte“, sagt Akademie-Leiter Alex Inglethorpe, und begründet damit auch den Schritt, sich von vielen Jugendspielern zu trennen. Inzwischen werden „nur noch“ knapp 200 Talente in der Academy gefördert und ausgebildet. Ziel dieser Maßnahme ist es, die Arbeit im Leistungszentrum effizienter zu gestalten und den eigenen Nachwuchs noch stärker für den Profibereich heranzuzüchten. Dass dieser für viele der Liverpooler U19-Spieler greifbar ist, zeigt die 2017er-Mannschaftsaufstellung der Liverpooler in Stemwede (siehe Foto). Beeindruckend ist, welchen Weg die einzelnen Spieler nach Ihrer Zeit in der Liverpooler Jugend gemacht haben und welchen Marktwert diese elf Spieler aus der damaligen Startelf drei Jahre danach aufs Papier bringen. Zusammen kommen sie auf umgerechnet fast 20 Millionen Euro, wobei sich der Löwenanteil von 12 Millionen Euro auf gerade Mal drei Spieler verteilt: Perr Schurrs, Rafael Camacho und Keeper Caoimhin Kelleher.
Schurrs (siehe Mannschaftsfoto stehend 1. v.li.) sollte aus der Jugend vom damaligen niederländischen Zweitligisten Fortuna Sittard in Holland, über Stemwede, nach Liverpool geholt werden. Die Vereinsverantwortlichen der Reds nutzten den „Volksbank-Cup 2017“ und die Zeit in Stemwede, um den Innenverteidiger auf Herz und Nieren zu testen und um ihn im Anschluss einen Vertrag in Liverpool unterzeichnen zu lassen. Das Abwehrtalent entschied sich jedoch gegen einen Millionenvertrag in Liverpool, spielte zunächst weiter für Fortuna und wechselte schließlich zu Ajax Amsterdam. Aktueller Marktwert: 7 Millionen Euro.
Auch Rafael Camacho (siehe Foto hockend 1.v.li) schnupperte unmittelbar nach seiner U19-Zeit Profiluft bei den Reds. Vornehmlich sammelte er regelmäßig Spielpraxis in der U23. Unter Jürgen Klopp reichte es für ihn jedoch nur zu einem Minieinsatz in der Liga und zu einem einzigen Pokalspiel über die volle Spielzeit. 2019 wurde offen über einen Transfer des portugiesischen U20-Nationalspielers geredet. Zunächst sah es nach einem Wechsel zu Schalke 04 in die Bundesliga aus. Ende Juni unterzeichnete der damals 19-Jährige dann aber einen Vertrag bei seinem Ex-Club Sporting Lissabon und wechselte für umgerechnet fast 8 Millionen Euro nach Portugal. Aktueller Marktwert: 4 Millionen Euro.
Keeper Caoimhin Kelleher (siehe Foto 4. V.li.) hat im Vergleich zu Schurrs oder Camacho zwar aktuell einen geringeren Marktwert (1 Mio. Euro), dafür aber inzwischen eine Trophäe, von der die anderen beiden noch träumen: die Siegermedaille der Champions-League. Ohne dass er zuvor auch nur eine Minute Spielpraxis bei den Profis sammeln durfte, stand er mit den Reds 2019 in Madrid im Finale gegen Tottenham Hotspurs im Kader und feierte anschließend zusammen mit LFC-Stammkeeper Alisson Becker den Pokal. Für die Nummer 1 bei Liverpool hat der 21-Jährige nur lobende Worte übrig. So habe er Alisson viel zu verdanken, allein dadurch ihn in bestimmten Spielsituationen beobachten und mit ihm darüber sprechen zu können. Auch, wenn ihm sein Job als Reserve-Torwart bei den Profis sowie als Keeper in der Liverpooler U23 gefällt, liebäugelte der irische U21-Nationaltorwart auch schon mit einem Wechsel zu einem anderen Verein, um dort Spielpraxis bei den Profis zu sammeln. Über Jürgen Klopp sagt Kelleher: „Er ist wahrscheinlich einer der besten Trainer der Welt, also kann es nur gut sein, jeden Tag mit ihm zusammen zu sein. Er gibt jedem das Gefühl, ein Teil des Teams zu sein.“ Und auch Klopps Meinung zum Nachwuchstorwart ist eindeutig: „Er ist ein herausragendes Talent.“