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News Eintrag

In der Welt des Fußballs zuhause

Interview mit Jürgen Sonny Scherer

Das internationale U19-Turnier bringt in jedem Turnierjahr viele spannende Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Religionen zusammen. Alle haben eines gemeinsam: sie lieben den Fußball. Jürgen Sonny Scherer ist einer von ihnen.

Der gebürtige Saarländer hat in seiner sportlichen Laufbahn auch mehrmals in Stemwede Halt gemacht, ist aber generell viel rumgekommen in der Welt. Er hat lange in Lateinamerika gelebt und die bolivianische Nationalmannschaft bei der WM 1994 in den USA begleitet. Die WM 2006 in Deutschland hat er als Teambetreuer der Mannschaft aus Costa Rica miterlebt. Er war Sponsoring-Manager bei den Asien-Spielen in Katar, Interims-CEO von Waldhof Mannheim und hat als Team Manager beim DFB die Juniorenteams begleitet. Seit Juli 2022 gehört er zum Stuff des Bayern München und kümmert sich darum, dass jeder Spieler zunächst als Mensch wahrgenommen wird, der auch Fußball spielt.  

Welche Erinnerungen er an das internationale U19-Turnier hat, welche Momente besonders hängen geblieben sind, welche Verbindungen nach Stemwede es nach wie vor gibt, wie sich der Jugendfußball in den vergangenen Jahren verändert hat und wann sein „erstes Mal“ war, darüber hat Sonny mit uns gesprochen.

 

Sonny Scherer empfängt Gratulationen vom damaligen Landrat Dr. Ralf Niermann (li.) im Jahr 2014.

Sonny: „Das erste Mal war 1994. Da war ich als Delegationsleiter mit der Academia de Futbol Tahuichi aus Bolivien beim Turnier in Stemwede. Außerdem noch einmal 1998 und in den Jahren 2012 und 2014 mit Club America aus Mexiko. Und ich war mit den Teams immer mindestens im Halbfinale. Ich glaube drei Mal im Finale und einmal haben wir auch gewonnen. Der erste Kontakt lief damals über Holger Brehme, den wir ausgegraben hatten, weil Bolivien im Eröffnungsspiel der FIFA WM 1994 gegen Deutschland gespielt hat und elf Spieler aus unserer Schule in der Nationalmannschaft standen. Die Academia de Futbol Tahuichi war damals für den Friedensnobelpreis nominiert, war Anti-Drogen-Botschafter der Vereinten Nationen und, und, und. Von daher passte diese Kombination Tahuichi und Stemwede in vielerlei Hinsicht sehr gut.“

 

Welche Erinnerungen hast du an Stemwede?

„Es war immer ein super menschlicher, sehr herzlicher Umgang. Man kam mit vielen Menschen in Kontakt und alle waren immer sehr, sehr umgänglich. Und natürlich gab es seinerzeit legendäre Feste im Zelt!

Schön ist auch, dass einige Kontakte bis heute halten. Da wir mit den Mannschaften immer bei Familie Bäcker im „Stemweder Hof“ untergebracht waren, ist über die Jahre eine besondere Beziehung entstanden – wir haben nach wie vor Kontakt.

Sportlich gesehen ist vor allem hängen geblieben, dass wir mit Club America einmal das Turnier gewonnen haben (Anm. d. Red.: im Jahr 2012), obwohl wir ganz wenig Tore geschossen haben. Wir haben ultra-defensiv gespielt und hatten als Torwart einen Elfmetertöter drin. Ich muss wirklich gestehen, dass unser Offensivspiel sehr zu wünschen übrigließ und wir dann halt mit unheimlich vielen, engen Ergebnissen und durch mehrere Elfmeterschießen, ins Finale gekommen sind und dort dann auch gegen Tottenham Hotspur gewonnen haben – natürlich wieder im Elfmeterschießen. Schön für uns, schön für die Jungs, schlecht für den Fußball. Ich finde das Fußball offensiv sein sollte und viele Tore fallen sollten.

Außerdem ist mir in Erinnerung geblieben, dass einer unserer Spieler dem Tim Borowski von Werder Bremen aus Versehen im Spiel einen Zahn ausgehauen hat. Und an diese Geschichte musste ich immer denken, wenn es um Tim Borowski ging – als er Deutscher Meister wurde, als er zu Bayern gewechselt ist, als Nationalspieler. Wenn ich ihn gesehen habe, musste ich an diese Situation denken, als er in Stemwede einen Zahn oder ein Stück davon verloren hatte.“

Sonny Scherer (li.) als Betreuer des mexikanischen Teams Club America FC mit dem Siegerpokal 2012.

Wie bewertest Du Jugendturniere, wie das in Stemwede?

„Der internationale Austausch fördert die Entwicklung der Spieler und ist schon was anderes, als wenn du z.B. in der Bundesliga-West vier Mal im Jahr gegen denselben Verein spielst. Und das sowohl in der U17, als auch in der U19. Da ist ein Turnier eine Bereicherung. Nichtsdestotrotz wird die Herausforderung immer größer, weil immer mehr internationale Spiele bei den Top-Vereinen dazu kommen – durch die Youth League, durch die Nationalmannschaften. Das ist eine wahnsinnige Belastung. Und dann muss man als Verein schauen, ob ein weiteres Turnier überhaupt noch in den Kalender passt und Sinn macht.

Neben dem fußballerischen Aspekt spielt aber auch die persönliche Entwicklung eine große Rolle. Jeder soziale Kontakt bringt dich in irgendeiner Form weiter. Und wenn du dich ansonsten nur in der Blase der Leistungszentren bewegst, ist es für deine Persönlichkeitsentwicklung gar nicht schlecht, auch mal rauszukommen und einen komplett anderen Austausch zu haben, als den in der oftmals sehr abgeschotteten Profifußballwelt, die es teilweise schon in den Junioren-Leistungszentren gibt. Von daher sind Turniere (a) fußballerisch und vor allem auch (b) für die Persönlichkeitsentwicklung sehr bereichernd.“

Inwiefern hat sich der Jugendfußball verändert?

„Der Jugendfußball hat sich insofern verändert, dass die Strukturen in den Vereinen noch deutlich professioneller geworden sind. Was aber nicht unbedingt heißt, dass es besser ist, wenn einem Spieler z.B. komplett alle Probleme abgenommen werden. Wenn du zum Beispiel Frauenmannschaften und Herrenmannschaften vergleichst, dann siehst du bei der Persönlichkeitsentwicklung der Frauen, meiner Meinung nach, ein deutliches Plus. Weil die Frauen oder Mädels sich parallel zum Fußball noch ein Leben aufbauen müssen, eine Ausbildung suchen, sich teilweise Fußballschuhe noch selbst besorgen, Reisen planen, ein Studium machen und, und, und. Und den Jungs wird in so einer Blase, in der man auch keine Schwäche zeigen darf, alles abgenommen. Meiner Meinung nach ist das – in Anführungsstrichen – „unprofessionelle“ Umfeld bei den Frauen, deutlich professioneller für die Persönlichkeitsentwicklung. Langfristig hast du gestandene Persönlichkeiten. Den Jungs raubt man einfach diese Möglichkeit, sich selbst zu beweisen, Fehler zu machen, indem man sie gar nicht erst dazu bringt, selbstständig an Probleme ranzugehen und diese zu lösen.

Und du stehst heute auch noch vor anderen, großen Herausforderungen. Beispiel Digitalisierung oder soziale Medien. Früher konnten Jugendliche noch Jugendliche sein und heute musst du da schon mit 16/17-jährigen in Medienschulungen reingehen, um zu schauen, dass da keine Böcke gebaut werden. Weil die Jungs heute schon sehr präsent und vor allem transparent sind. Das sind riesige Unterschiede zu früher.“

Sonny Scherer (re. Hinten) mit dem Team von Club America FC im Jahr 2014.

Du sagst „Fußball ist mein Leben“. Was magst Du so am Fußball?

„Das Schönste am Fußball sind die Emotionen. Und da sind wir auch bei etwas ganz Grundsätzlichem: Das Leben dreht sich um Emotionen. Hinter jeder Entscheidung, die wir treffen, stecken Emotionen. Ich finde, diese Gefühlswelt ist das interessante und das Schöne am Fußball. Wenn Arme, Reiche, Kinder, Alte, Mittelalte zusammenkommen und auf einmal zusammen eine Mannschaft unterstützen, das ist außergewöhnlich. So etwas gibt es, glaube ich, selten in anderen Bereichen des Lebens.

Ich war jetzt zum Beispiel während des WM-Halbfinales und des Finales in Argentinien. Im ganzen Land hat quasi eine, ja, Schwarmenergie geherrscht. Man hatte den Eindruck, dass die Menschen komplett auf derselben Ebene energetisch geschwungen haben, was ich so, in dieser Form, noch nie erlebt habe.“

Du arbeitest jetzt seit knapp einem Jahr beim FC Bayern München als Senior Manager Player Care Professional Team. Wie sehen Deine Aufgaben dort aus?  

„Meine Arbeit beim FC Bayern besteht grob darin, dass ich versuche, Spielern und ihrem sozialen Umfeld, von Tag 1, sobald sie beim FC Bayern unterschrieben haben, bis hoffentlich zu ihrem Lebensende, das Erlebnis verschaffen möchte, dass sie davon überzeugt sind, dass die Entscheidung nach München zu kommen und beim FC Bayern zu unterschreiben, die beste Entscheidung ihres Lebens was – sowohl professionell, beruflich, als auch privat. Das ist das übergeordnete Ziel. Und der Weg dahin, ist extrem vielseitig, weil ich jeden Spieler als Menschen wahrnehme, mit individuellen Bedürfnissen – nicht nur den Spieler, sondern auch sein Umfeld, seine Familie.

Und Bedürfnisse, wertungsfrei, ganz objektiv, können komplett unterschiedlich sein. Was für mich wichtig ist, ist für einen anderen total unwichtig und umgekehrt. Von daher ist die Spannbreite der eigentlichen Tätigkeiten riesig. Es geht um psychologische Gespräche, finanzielle Weiterentwicklung, Probleme bei Anwälten, oder auch um die Kindergartensuche, die Suche nach Topwohnungen oder Restaurants, oder aber auch darum, soziale Kontakte zu verschaffen. Es gibt im Prinzip nichts, was es nicht gibt.

Quintessenz ist tatsächlich, dass die Jungs in der Regel sehr gute und angenehme Menschen sind, und dass ich mich auf jeden einzelnen versuche so gut es geht einzulassen. Und ich diene dabei auch, gerade für die ausländischen Spieler, als Übersetzer von Kultur. Weil gerade für die neuen Spieler, die aus anderen Kulturkreisen, aus anderen Ländern kommen, mit anderen Sprachen, bin ich die erste große Brücke für Ihren Aufenthalt in München und beim Verein. Auf der anderen Seite kann jeder Spieler mit seiner Kultur eine Bereicherung für den Verein sein.

Sprich, wenn ich bzw. wir alle es nicht hinkriegen, Spieler onzuboarden und sich gleich heimisch fühlen zu lassen, führt das dazu, dass ein Spieler, der unter Umständen extrem teuer ist, der ein extrem guter Fußballer ist, sich nicht wohlfühlt und dadurch seine Leistung nicht abrufen kann. Was wiederum zu sportlichen Konsequenzen führt, was wieder zu finanziellen Konsequenzen führt. Das ist im Großen und Ganzen meiner Tätigkeit.“